Ich fühle mich der re:publica verbunden. 2010-2014 war ich immer da. 2015 habe ich ausgesetzt, 2016 war ich zur Abschlussparty da. 2017 war ich Dienstag für zwei Stunden da und fand es unerträglich. Wie auch einen Großteil der Dinge die ich online von der diesjährigen re:publica mitbekommen habe.
Bisher verstand ich die re:publica als Vernetzungsort für Blogger*innen und Netzaktivist*innen.
Der Netzaktivismus die letzten Jahre hat sich verändert - schon lange gibt es keine großen Demonstrationen mehr gegen neue Überwachungsvorhaben. Die Vorratsdatenspeicherung, die lange erbittert bekämpft wurde, wurde 2015 fast protestlos wieder eingeführt.
Blogs haben an Stellenwert verloren. Einige Blogs haben sich professionalisiert, werden vermarktet und können den Blogger*innen ein Einkommen generieren (mittels Werbung, bezahlter Vorträge, Buchverträgen, Spendenkampagnen etc.). Quasi alle Zeitungen haben inzwischen auch Onlineportale. Es gibt kaum noch einen Grund, in seiner Freizeit ein Blog zu schreiben. Was früher vor allem ein Hobby war, ist inzwischen ein Job geworden. Menschen, die noch immer nur hobbymäßig ins Internet schreiben, gibt es so viele Social Media Kanäle, da wird völlig unklar, wofür eigentlich noch ein eigenes Blog irgendwo gehostet und gewartet werden sollte.
Manchmal sehne ich mich nach der Zeit zurück, in der Twitter (für mich) ein Netzaktivismus-Newschannel gespickt mit Links zu tatsächlichen Nachrichten (veröffentlicht vor allem in Blogs). Aber die Entwicklung selbst ist wie sie ist. Und das ist okay.
Auch die re:publica hat sich verändert. Ich finde sie unerträglich.
Wo früher Blogger*innen redeten, reden heute SEO-Menschen, “Influencer” und Bundesminister*innen. Daneben war das Programm weitgehend belanglos. Das mag ein bisschen daran liegen, die große “alle Menschen sind plötzlich im Internet”-Zeit schon 10 Jahre her ist und es darüber nicht mehr viel zu reden gibt. Die Weiterentwicklung des Internets ist zur Aufgabe von Großunternehmen geworden. Und die re:publica versteht sich offenbar nicht mehr als Plattform für User*, sondern als Marketingplattform für Unternehmen und Regierung. Dabei wird Regierung eine Bühne gegeben, obwohl sie weiterhin Grund- und Freiheitsrechte beschneidet.
Die Stände auf der re:publica gehören (Groß-)Unternehmen, politischen Stiftungen und Landesvertretungen. Von Zivilgesellschaft oder Blogger*innen ist wenig zu sehen. Gefühlt war ich auf einem Ableger der CeBIT: eine Messe mit massiver Materialschlacht. Freibier und Sticker statt Inhalte. Das Design der #rp17 war von Protestschildern dominiert. Die Protestschilder wurden zu Werbeschildern.
Das Motto der re:publica “love out loud”, inspiriert von Kübras Talk “Organisierte Liebe” letztes Jahr will mehr Liebe ins Netz bringen. Aber wie haben die Veranstalter*innen sich das genau gedacht? @lasersushi hat ihre Erfahrungen mit Hate Speech und Belästigung aufgeschrieben und beeindruckenderweise macht die re:publica: nichts.
Ich kenne die Hintergründe dieses Falls nicht und kann auch kein Urteil über den Vorfall selbst fällen - aber, dass die Organisator*innen dazu keine Stellung nehmen, spricht nicht dafür, dass sie dieses Thema besonders ernst nehmen.
Der Code of Conduct ist schwach formuliert und offenbar gibt es genau eine Ansprechpartnerin. Andere Veranstaltungen haben Awareness-TEAMS.
Inklusion und sichere Orte werden nicht mit einem Text geschaffen, sondern mit Inklusion und sicheren Orten. Wo aber war die LGBTIQ-Lounge? Gab es einen Gebetsraum? Oder überhaupt ein ruhiger Ort, der nicht von allen Seiten zugedröhnt wird?
Ich überlegte vorab, ob ich nicht in High-Heels kommen wolle. Physisch wäre mir sicher nichts passiert (mit den High-Heels bin ich 2,03m groß), aber ich wäre Vorzeigeobjekt geworden, wie “inklusiv” die re:publica doch ist. Ich wäre massiv fotografiert worden und sicher hätten sich auch Menschen über mich lustig gemacht, zumindest aber hätte ich einige merkwürdige bis herablassende Blicke geerntet. Vielleicht wäre das nicht passiert, aber das ist, wovor ich Angst hatte und warum ich Mittwoch nicht kam - und schon gar nicht in High-Heels.
In diesem Szenario hätte geholfen: Normalität - so viel Normalität, dass einzelne Menschen nicht mehr zu Vorzeigeobjekten werden - und Rückzugmöglichkeiten.
Und was war eigentlich mit dem Antisemiten, der Twitter zufolge über Stunden auf dem Gelände vor der Station geduldet wurde? Warum wurde nicht die Polizei gerufen? Wenn das schon kein*e Besucher*in macht, dann doch aber bitte die Orga!
Ich frage mich, was die re:publica erreichen will/wollte. Als was versteht sich die re:publica überhaupt? Und was war das Ziel für 2017? Vielleicht stellen sich die Organisator*innen diese Fragen nicht. Müssen sie auch nicht. Die Veranstaltung scheint finanziell auf soliden Füßen zu stehen. Aber ich werde mir kein Ticket mehr kaufen. Für mich war es sicher die letzte re:publica.