Es gibt seit einiger Zeit immer wieder Texte, die nahelegen, dass das Internet bzw. Social Media für Depressionen verantwortlich ist, bzw. diese befördert.
In der Generalität ist die Aussage falsch. Ich bin depressiv und mir hilft “das Internet” in depressiven Phasen oft.
Immer wieder habe ich Phasen, in denen ich keine Gefühle habe. Ich kann den Wind spüren oder Menschen weinen oder lachen sehen, aber irgendwie fehlt die Verbindung zwischen der Außenwelt und mir. Mein Arzt hat mir deshalb die Diagnose “Depression” gegeben. Die Krankenkasse zahlt meine Psychotherapie und mein Antidepressivum - ein Medikament, dass dafür sorgt, dass es mehr Botenstoffe in meiner Hirnflüssigkeit gibt. Es gibt die Theorie, dass ein Mangel an Botenstoffen die Depression ist. Seit ich das Antidepressivum nehme, geht es mir besser - aber dennoch habe ich immer wieder diese gefühllosen Phasen.
Ich erkenne ein Muster, nach dem bei mir diese Phasen häufiger auftreten - damit kann ich sie ein bisschen vorhersagen und gewissermaßen einplanen. Die Phasen treten bei mir häufig nach stressigen Phasen auf, oder wenn ich besonders gut und stark sein will oder muss. Es ist ein bisschen, wie die allgemeine Erkältung, die häufiger auftritt nach besonders stressigen Phasen. Bei mir ist es seltener die Erkältung und häufiger die depressive Phase.
Kati Krause schreibt, dass Social Media Gift für Depressive ist. Ich kann die Argumentation nachvollziehen. Wenn Social Media in Stress ausartet, wenn ich mich immer besonders gut darstelle, immer besser sein will, verursacht das auch bei mir depressive Phasen. Ich habe Social Media nie beruflich genutzt. Eine Zeit lang sehr politisch, aber schon sehr lange nutze ich die verschiedenen Kanäle auch um mit guten Freunden zu kommunizieren und sehr ehrlich zu berichten, wie es mir so geht. Das ehrliche Kommunizieren hat bei mir noch nie Stress ausgelöst, sondern eher Wohlbefinden durch positive Rückmeldungen. Ich habe allerdings bisher auch das Glück quasi keinerlei Hatespeech ertragen zu müssen.
Manchmal hilft es mir auch zu sehen, was meine Freunde so tolles machen oder welche Hundebabies sie teilen. Manchmal hilft mir auch ein langer Spaziergang oder eine Avocado. Ich habe angefangen zu lernen, wie ich mit der Depression umgehe.
Irgendwann fing ich an, die Depression als Krankheit zu bezeichnen und mich vor mir selbst zu rechtfertigen, gerade etwas nicht zu können, weil ich halt krank bin. Jemanden mit gebrochenem Bein erlaubt die Gesellschaft auch einen Tag im Bett zu verbringen, also möge sie dies auch mit depressiven Menschen tun. (Wobei sich nicht alle depressiven Menschen ins Bett zurückziehen in ihren depressiven Phasen.) Die Krankenmetapher habe ich allerdings wieder abgelegt. Ich habe gemerkt, dass es mir nicht gut tut, mir selbst zu sagen, dass ich “krank” bin - und damit anders bin als “gesunde” Menschen. Die Depression ist kein Mangel an mir, sie ist ein Teil von mir. So, wie meine Beine ein Teil von mir sind, oder der Fakt, dass ich schwul bin. Das bin ich und daran ist nichts falsch oder “krank”. Ich habe einen Umgang mit meiner großen Körpergröße gefunden und auch mit meiner Kurzsichtigkeit. Ich bin dabei einen Umgang mit meinen depressiven Phasen zu finden. Menschen sind unterschiedlich. Manche sind groß, manche sind klein, manche haben rote Haare und manche haben gar keine. Manche spielen gerne Volleyball und andere haben Katzen. Manche haben depressive Phasen und müssen auf sich aufpassen, dass es ihnen gut geht. So wie Volleyball spielende Meschen auf ihre Handgelenke aufpassen. Wenn die kaputt sind, können sie kein Volleyball mehr spielen.
Menschen sind nicht nur unterschiedlich, sondern sie verändern sich auch. Mal wollen sie lieber Brötchen zum Frühstück und mal lieber Müsli. Manche Menschen wollen ihr ganzes Leben lang Äpfel essen, andere wechseln irgendwann zu Bananen. Vielleicht verändere ich mich irgendwann und ich habe keine depressiven Phasen mehr. Vielleicht bleiben sie.
Findet heraus, was euch gut tut. Findet heraus, wer ihr sein wollt und akzeptiert, wer ihr seid. Probiert euch aus (im Rahmen eurer Möglichkeiten). Wenn euch das Internet schlecht tut, nutzt es weniger. Wenn euch Hundebabies glücklich machen, folgt allen Hundebaby-Tumblers. Oder habt selbst einen Hund. Wenn ihr alleine schlecht weiter kommt, sucht euch eine Psychotherapie oder geht zu eurem Arzt. Wenn das zu anstrengend ist, fragt Freunde, ob sie mit euch zum Arzt gehen und euch unterstützen. Wenn ihr telefonieren könnt, ruft die Nothilfe an. Es gibt Hilfe. Gebt euch nicht auf und verteufelt die Welt nicht. Verzweifelt nicht. Es wird besser werden. Der Glaube daran hilft. Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.