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Ich weiß nicht weiter

- in: personal

Dies ist ein Depressions-Blogpost in Anlehnung an das Lied von hier an Blind der Helden. Mir geht es schlecht und ich weiß nicht weiter und weil ich nicht weiter weiß schreibe ich mal auf, wo ich nicht weiter weiß. Vielleicht wird es konfus. Meine Probleme sind multikausal und komplex. Meine Mutter müsste mehrfach erwähnt werde, die ich aber explizit nicht erwähne, um die Thematik etwas zu vereinfachen.

Mein Vater wurde Anfang letzten Jahres krank. Als absehbar wurde, dass es sich um einen längeren Krankheitsprozess handeln würde, habe ich mich aus der aktiven Politik zurückgezogen, um mehr daheim sein zu können und mich um ihn und den Landwirtschafts- und Ferienhof kümmern können. Bis Ende August war ich beim Elektrischen Reporter arbeiten. Den September wollte ich mir für Uniprüfungen und meinen Vater und den Hof frei nehmen. Die Krankheit wurde schlimmer und mein Leben konfuser, sodass ich seit Ende August keiner geregelten Arbeit mehr nachgehe. Bis Anfang November sprach ich mehrfach mit meiner Familie, dass ich mein Studium an der Fernuni auch aus Schollene (das ist das Dorf, wo ich aufgewachsen bin und wo unser Hof ist) fortführen kann und anbiete, mich fest um den Ferienhof zu kümmern, wenn wir klären, dass ich davon leben kann. Diese Klärung zog sich lange hin und irgendwann musst ich (mit viel Hilfe meines Therapeuten) erkennen, dass es eine schlechte Idee ist, mein bisherige Leben gänzlich aufzugeben für den Verlauf einer Krebskrankheit, deren Ende nicht absehbar ist.

Anfang November zog ich mich dann weitestgehend vom Hof in Schollene zurück, um mich wieder meinem Leben zu widmen. Dem Studium und einem Job, von dem ich leben kann. Ich fand keine passende Gelegenheit wieder beim Elektrischen Reporter einzusteigen, war mir aber auch nicht so sicher, ob ich das eigentlich will, oder ob ich nicht einen anderen Job suche. Dann gab es einen neuen Krankheitsschub bei meinem Vater, sodass ich 3 Tage am Stück mit im Krankenhaus verbrachte, bis klar war, dass er kein Morphium verträgt. Danach war ich auf der “Woche der Philosophie” in Hagen, dann in Bremen alte Bekannte treffen, zurück in Berlin und wieder in Bremen auf dem Bundesparteitag. Zurück in Berlin verbrachte ich die meiste Zeit mit krank im Bett liegen. Dann kam Weihnachten bei meiner Familie. Am vierten Tag des <a href”https://events.ccc.de/congress/2013/wiki/Main_Page”>30c3</a> kam die Nachricht, dass mein Vater daheim verstorben ist. Mein Cousin aus Dänemark nahm mich aus Hamburg mit nach Schollene. Silvester bin ich zurück nach Berlin gefahren um Zeit für mich und zum Realisieren zu haben. Am 10. Januar war die Beerdigung mit etwa 200 Gästen. Die Tage, die ich in Schollene war, haben wir über das aufzuteilenden Erbe gesprochen. Explizit über das Erbe habe ich länger mit @arte_povera und @rhotep gesprochen und eine für mich akzeptable Lösung gefunden. (Danke an dieser Stelle diesen beiden wunderbaren Menschen für die Unterstützung! Ihr habt mir sehr geholfen.)

Status quo: Depression. Ich kriege mein Leben nicht auf Reihe. Weder kümmere ich mich ordentlich um mein Studium, noch darum, einen neuen Job zu bekommen. Ich kümmere mich weder um Kindergeld und Halbwaisenrente noch räume ich mein Zimmer auf. Ich öffne keine Post mehr und habe Angst vor Rechnungen, die mein letztes Geld auffressen. Ich komme damit noch etwa 2 Monate hin. Irgendwann werde ich ein 3-Familien-Haus in Schollene erben, aber wann genau das sein wird, ist unklar. Von den Mieterlösen sollte ich mein Lebensstandard halten können, aber werde weder Rücklagen für das Haus bilden können, noch ist das die tatsächliche Lösung für meine derzeitige Lage. Und auf Dauer möchte ich mich eigentlich auch nicht um ein Haus in Schollene kümmern.

Mit dem Tod meines Vaters hat sich gefühlt meine Familie aufgelöst. Zwar beteuern alle, jetzt besonders zusammen zu halten und sich gegenseitig helfen zu wollen, aber mein Gefühl sagt mir, dass sich der Zusammenhalt meiner Familie auflöst. Ich weiß nicht, wo ich hingehöre und weiß nicht, wo ich hin möchte. Mir fehlt ein Rückzugsraum. Ich habe eine wunderbaren Mitbewohner, aber dieser Tage denke ich viel darüber nach, mir eine eigen Wohnung zu suchen, um besser allein sein zu können - auch wenn ich mir sicher bin, dass das alleine nicht die Lösung sein wird. GA ist mir seit Monaten eine unfassbare Stütze und hilft mit sehr. Ich weiß nicht, wie ich ihm dafür angemessen Danken kann. Ich weiß auch nicht, ob er mein Familienersatz sein möchte - und auch nicht, ob ich ihn als Familienersatz haben möchte. Häufig denke ich darüber nach, wieder zu reisen. Nach San Francisco, Marseille, Istanbul, Hongkong oder Goa. Ich denke darüber nach den Jakobsweg zu pilgern oder nach China in ein Shaolin-Kloster zu gehen. Ich denke darüber nach, meine Depression wegzustressen und mich als Ersatzhandlung wieder völlig der Politik zu zuwenden und auf Ämter und Mandate zu kandidieren. Ich will wieder Musik machen und Theater spielen. Außerdem will ich mein Studium beenden und wieder einen geregelteren Alltag mit Erwerbsarbeit nachgehen. Und ich will wieder mehr nerden und Software coden.

Aber all das kriege ich gerade nicht geregelt und priorisiert. Es fängt damit an, dass mir die Kraft fehlt, mich um mein Kindergeld und Halbwaisenrente zu kümmern. Ganz zu schweigen von der anstehenden Steuererklärung. Wenn ich eine eigene Wohnung haben will, muss ich mich auch darum kümmern. (Und dafür fehlen mir gerade die Gehaltsnachweise). Ich brauchen eine Impuls, der meiner Welt die Drehung zurück gibt, aber ich weiß nicht, wo ich nach dem Impuls suchen soll.

Und ohne Impuls mache ich gar nichts und bleibe Tage lang im Bett liegen. :-/

Schließen möchte ich den Blogpost mit einem anderen Lied von Wir sind Helden: Bring mich nach Hause

Nachtrag:

Ihr seid toll. Danke für die vielen lieben Menschen, die sich per Mail, DMs, Mentions und SMS gemeldet haben. Ihr gebt mir viel Kraft und sagt mir sehr deutlich, dass es auch in Ordnung ist, langsamer zu sein. Ich kommuniziere gerade wenig, merke aber, dass es mir hilft, einfach Zeit zu haben. Bitte setzt mich nicht unter Druck und taucht nicht einfach vor meiner Tür auf. Ich brauche meinen Rückzugsraum und werde wohl auch noch die nächsten Tage und Wochen Termine sehr kurzfristig absagen, weil mir einfach nicht danach ist. Ich bitte euch darum, mir das nicht übel zu nehmen.

Aber: ich glaube, ich komme voran - wenn auch nur sehr langsam. Gestern habe ich mich an meiner Uni zurückgemeldet und eine Prüfung abgesagt, heute schreibe ich einen Vortragsentwurf für die re:publica. Viel mehr als einen Task kriege ich gerade nicht hin, aber vielleicht musst ich das auch gar nicht. Ich nehme mir für morgen vor mein Zimmer aufzuräumen und zu putzen und will mich Samstag an die vielen Formular für die Halbwaisenrente setzen. Vielleicht kümmere ich mich dann Sonntag um mein Kindergeld und nächste Woche dann wieder inhaltlich um mein Studium. Vielleicht bleibe ich aber auch noch zwei Tage länger einfach im Bett und schiebe alles noch etwas auf. Aber ich habe (dank euch) das Gefühl, dass ich dabei nichts falsch mache, sondern mir nur gerade Zeit lasse.

P.S: Der Person, die vor meiner Wohnungstür stand: bitte habe Verständnis dafür, dass ich dich nicht rein ließ. So geht das nicht und ich habe arge Zweifel, dass du mir mit diesem Verhalten wirklich helfen kannst. Lass mir bitte meine Zeit!

Kommentare

von: Gero

Danke! (Hugs nehme ich in den allermeisten Fällen gerne. Sowohl virtuell, als auch im RL (falls wir uns irgendwann mal treffen))

von: Kathrin

Ich kenne dich ebenfalls nicht persönlich, möchte dir allerdings ein bisschen von meiner Erfahrung mitteilen.

Ich habe vor drei Jahren meinen besten Freunden plötzlich nach nur wenigen Tagen Krankenhausaufenthalt verloren. Das kam 2 Monate vor meinen Abiprüfungen, nach dem ersten Schock, habe ich mich schnell zusammengerissen und gelernt, weil ich wirklich nicht begriffen habe, was das nun eigentlich heisst. Gleichzeitig habe ich meinen Freund kennengelernt und er hat mich wirklich in einer komischen Zeit kennengelernt. Er hat mich durch diese Zeit gebracht und mir Halt gegeben. Meine Eltern und auch gemeinsame Freunde konnten mit dieser Situation weniger gut umgehen. Der Einbruch oder besser das Verstehen was passiert ist, kam dann aber erst nach den Abiprüfungen. Ich habe danach viel Zeit gebraucht zu begreifen, was mir mein Leben nun eigentlich wert ist. Wie ich damit eigentlich leben soll, dass da nun so ein Riesenloch ist, was niemand füllen kann und soll. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich wieder etwas wirklich geniessen konnte. Manchmal ist es jetzt noch so, dass ich mich an den besten Tagen, wo alles gut läuft sehr an ihn erinnere, weil ich das nun gerne mit ihm teilen würde. Ich kann nicht sagen ob ich das wirklich begriffen habe, ich denke schon, aber ich habe auf jeden Fall gelernt, das zu machen was ich will oder meine zu wollen, und nicht in einem Jahr sondern jetzt. Ich habe viel Zeit gebraucht und Ruhe, aber auch Menschen um mich herum, die mir wirklich wichtig sind und die mich so mögen wie ich bin. Es ist super wenn du einen guten Therapeuten hast, den Schritt habe ich bis jetzt noch nicht gemacht, und natürlich ersetzt ein MItbewohner keine Familie, aber für mich war es damals wichtig, wenigstens nicht allein zu sein, zumindest auch gefühlt jemanden in der Nähe zu haben. Jeden den ich neu kennenlerne und schätze erzähle ich nach ein paar Treffen von meinem besten Freund, und es nervt mich selbst irgendwo, aber es tut auch gut, weil er einfach ein klasse Mensch war. Vielleicht hat dir das ein bisschen geholfen, vielleicht auch nicht. Ich wünsche dir viel Kraft!

von: Gero

Danke dir! Ja, es hilft durchaus Geschichten von anderen Menschen zu hören, denen es ähnlich geht/ging.

Den Therapeuten habe ich seit gut einem Jahr und das, weil ich depressiv bin - völlig unabhängig von der Geschichte mit meinem Vater. Natürlich verstärkt der Tod die Depression, aber mit einer anhaltenden Depression habe ich seit Jahren zu tun, auch wenn ich noch nie in so einem krassen Loch war. (Und ich merke, wie es mir hilft, überhaupt darüber zu kommunizieren.)

Oh, und GA (@tollwutbezirk) ist nicht mein Mitbewohner, sondern mein Freund/Verhältnis/Beziehung. Also, vielleicht ergeht es mir da ein bisschen ähnlich wie dir. Nur geht es mir so, dass ich auch ihn nicht an mich heran lasse, obwohl ich ihn sehr gerne hab. Irgendwie verwahre ich mich auch ihm gegenüber immer wieder. Mein Mitbewohner ist @dedalusroot, ebenfalls ein sehr toller Mensch, aber der ersetzt meine Familie tatsächlich nicht - da hab ich mich doof ausgedrückt :-/

von: r.

Das klingt alles nach sehr viel Stress. Ich kenne dich nicht persönlich, aber schicke dir mal virtuelle Hugs (falls ok) und viel was-auch-immer-du-gerade-brauchst. Pass auf dich auf. <3

von: samy

du weißt jetzt, wo du mich finden kannst - wann immer - lieben Gruß