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Politik. Das Spiel der Strategie.

- in: politics personal society

So formuliere ich, was ich in vier Tagen Bundestag gelernt habe.

Seit einigen Jahren gibt es das Planspiel „Jugend und Parlament“. Dieses Planspiel hat zum Ziel, Jugendlichen die politische Arbeit näher zu bringen.

Vor ein paar Jahren wollte ich schon einmal teilnehmen, habe mich aber zu spät gemeldet. Die Jahre drauf, wurde die Möglichkeit in meinem Wahlkreis nicht öffentlich gemacht, doch dieses Jahr hat es geklappt.

So begab es sich, dass ich in den Bundestag durfte. Aber nicht einfach nur in den Bundestag – Nein, auch in den Plenarsaal. Und in die Fraktions- und Ausschussräume, Mensen, Büros und allem, wo man im Bundestag nur hinkommen will.

Aber: Ich durfte nicht nur in all den Räumlichkeiten platz nehmen und mich umschauen – nein, ich durfte auch Politik machen. In Landesgruppe, Fraktionen und Ausschüssen organisiert. Nur hat leider all das, was wir gemacht haben, auf die reale Politik keinen Einfluss.

Am Samstag, dem 5.6. bin ich als Gero Nagel, der Mensch, der ich im wahren Leben bin, durch das Paul-Löbe-Haus in den Bundestag gekommen.

Dort musste ich meinen „Nazis Raus“ -Aufkleber von meiner Tasche lösen, denn „mit diesem politischen Symbol darf man nicht in den Bundestag“. So habe ich dann meinen Aufkleber entfernt und durfte nun in die Gesetzesfabrik des deutschen Volkes.

Drinnen wurde mir dann meine Biografie gegeben. Den Namen – Ijon Tichy – durfte ich mir noch selbst aussuchen, der Rest wurde vorgeschrieben. Mit 55 Jahren, verwitwet, 4 Kinder, bei der ältesten Tochter in Wesel lebend, in der CVP-Fraktion (Christliche Volkspartei) hätte es kaum schlimmer kommen können. Ok, ich war Lehrer und nicht aus dem bayrischen Landesverband – das war dann doch schon fast wieder erträglich.

Die Landesgruppen trafen sich und gingen zusammen in den Plenarsaal, wo die Vizepräsidentin ein Grußwort sprach und ein paar Formalitäten erklärte.

Danach gab es eine Reichstags-Gebäude-Führung, Abendessen und das erste Landesgruppentreffen. Das treffen hielten wir noch mit unseren richtigen Identitäten ab. Jeder stellte seinen Nachbarn vor und durfte noch einen Zettel ausfüllen, was er sich von dem Planspiel zu lernen erhoffte.

Anschließend wurden wir dann entlassen und fuhren zum Hostel nach Friedrichshain. Der Abend klang ruhig aus.

Den nächsten morgen sind wir schon um 6.30 aufgestanden, denn ab 6.45 gab es Frühstück.

Um 8.30 waren wir im Bundestag und um 9 trafen wir uns erneut in den Landesgruppen. Nun war ich Abgeordneter Ijon Tichy. Die Identität „Gero Nagel“ hatte ich mit dem Mantel abgegeben, wie manch Abgeordneter sein Gewissen mit dem Mantel abgibt.

In der Landesgruppe haben sich alle Abgeordnete vorgestellt und nach einer Pause wurde über ein Fraktionsvorstandsmitglied abgestimmt. Aus jeder Landesgruppe musste es ein Fraktionsvorstandsmitglied geben.

Ich wurde vorgeschlagen, doch fehlten mir 2 Stimmen, sodass eine 60-Jährige Physikerin zum Landesgruppenvorsitzenden gewählt wurde. Ein Schriftführer wurde ebenfalls gewählt.

Um 11 gab es dann die große Fraktionssitzung, wo nun die vier Landesgruppen zusammen kamen und 2 Stunden nach einem Fraktionsvorsitzenden suchten. Zur Auswahl standen die vier Landesgruppenvorsitzenden. Nach einer Pause und anschließender Stichwahl wurde Gerd Nehr aus der Landesgruppe Bayern gewählt.

Schließlich wurden wir in Arbeitsgruppen aufgeteilt, um uns mit den vier vorliegenden Anträgen zu beschäftigen.

Ich war in der Arbeitsgruppe Bau, Verkehr und Stadtentwicklung, die als beratenden Gruppe dem Thema „Vollendung der Deutsche Einheit“ zugeordnet war.

Nach einer weiteren Pause berieten alle drei Arbeitsgruppen zu diesem Thema in dem Fraktionssaal der FDP in einem der vier Türme des Reichstagsgebäudes.

Dort wurde uns auch Material gegeben, mit dem wir arbeiten sollten – schlecht nur, dass da nichts für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung dabei war. Unsere Aufgabe war es vor allem über ein Konzept nachzudenken, wie wir die Einheit schließlich am besten vollenden konnten. Im Zusammenhang mit dem Solidarpakt 2, der 2019 ausläuft, haben wir einstimmig abgestimmt, dass der zukünftige Solidarpakt nicht nach Ost- und West unterteilt wird. Es soll einen Solidarpakt für ganz Deutschland geben. Überall, wo geholfen werden muss, soll der neue Solidarpakt greifen.

Der weiteren haben wir einige Punkte gesetzt, die besonders wichtig sind: öffentlicher Nahverkehr, Breitbandausbau und Anreizschaffung für Unternehmen zur Investition.

Anschließend haben wir dieses Konzept den anderen beiden Arbeitsgruppen vorgestellt und darüber diskutiert. Es gab kleinere Meinungsverschiedenheiten, aber es blieb doch Konsens-nah.

Nach Abstimmung über die Ergebnisse gab es eine weitere Fraktionssitzung, wo jedes der vier bearbeiteten Themen vorgestellt wurde und zur Abstimmung kam. Zum Thema Alkoholverbot für Jugendliche gab es eine sehr langwierige Diskussion, doch schließlich hat sich die entsprechende Gruppe durchgesetzt und eine positive Abstimmung erzwungen.

Nach dem Abendessen (gegen 9) war dann für den Tag Schluss.

Montag begann nach dem Frühstück im Plenarsaal. Um 9 verlas die Vizepräsidentin die vier vorliegenden Anträge, nachdem die Formalitäten abgearbeitet waren (wie dem Abgeordneten Ijon Tichy zum 56. Geburtstag zu gratulieren).

In einer weiteren Fraktionssitzung wurde das weitere Vorgehen erklärt und es ging in die Ausschusssitzungen. Hier saßen die Arbeitsgruppen des Vortages aus allen Fraktionen zusammen und erklärten den jeweiligen Standpunkt der Fraktion.

Nun trafen erstmals die „politischen Gegner“ direkt aufeinander. Teilweise diskutierten wir sachlich, teilweise ging es aber auch nur darum, den Gegner zu diffamieren und anzugreifen. So gingen wir natürlich auf keinen Punkt der „Mauerbauer“ ein. Mit den Ökos haben wir allerdings eine Allianz probiert. Unsere Standpunkte waren nicht so weit entfernt und er wäre schön gewesen, wenn diese mit uns im Plenarsaal gemeinsam stimmen würden.

Die Punkte der Liberalen haben wir bestmöglich eingebaut, denn immerhin koalieren wir miteinander.

Letzten Endes war es jedoch ein sehr klares Ergebnis: Die Regierung gegen die Opposition. Die Regierung hatte mehr Stimmen und hat damit die Opposition überstimmt. Die 2-stündige Diskussion vorher war eher sinnlos. Es gab nur geringe Ergänzungen durch den Koalitionspartner

Wir waren quasi fertig mit der Diskussion, als noch eine Stadtentwicklungsprofessorin zu Wort kam und unsere Fragen beantwortet hat. Dies wurde aber leider nicht als Grundlage genommen den Antrag auszuarbeiten, sondern nur noch als Nagelfeile um die eigenen Argumente unterlegen zu können.

Nach dem Mittagessen wurde eine Stadtrundfahrt angeboten, die ich allerdings nicht wahr nahm. Stattdessen habe ich mir die verschiedenen Gebäude des Bundestags sehr genau angeguckt. Ein FDP-Abgeordneter ließ eine anderen JuP und mich einen Blick in den schönsten Raum des Bundestages schauen. Der Fraktionsvorstandsraum der FDP liegt in einem Wintergarten auf dem Jakob-Kaiser-Haus an der Ecke zum Reichstagsgebäude. Man hat einen gigantischen Blick von etwas unterhalb der Oberkante des Reichstagsgebäudes auf die Kuppel und direkt daneben die Spree – ein Traum von Bildkomposition. Und ich machte kein Bild(!).

Um vier gab es eine weitere Fraktionssitzung und es wurde erneut über die Anträge diskutiert und abgestimmt. Der Alkoholverbotsantrag wurde kurz vorher nochmal neu geschrieben, sodass es nur ein handgeschriebenes Exemplar auf dem Overheadprojektor gab.

Dies wiederum war das gefundene Fressen der fraktionsinternen Kritiker. Es wurde hart diskutiert und auch in der Abstimmung gab es viele Abweichler, aber es hat gereicht. Es gab noch eindringliche Aufforderungen, dass man sich in der Plenarabstimmung doch zumindest enthalten möge, wenn man sich nicht dafür entscheiden könne. Anderes würde aussehen, als ob unsere Fraktion keinerlei zusammenhalte.

Die anderen Anträge gingen gut durch.

Am Abend gab es Essen im Kasino des Kaiser-Jakob-Hauses. Hier waren auch tatsächliche Abgeordnete (wie z.B. Müntefering) anwesend, die es genossen Fotos mit JuPies zu machen.

Bald darauf ging ich ins Bett.

Dienstag, der letzte Tag wurde mit der 2. und 3. Lesung begonnen. Es wurde das Prozedere erklärt und dann debattierten wir zu jedem der 4 Themen eine gute halbe Stunde. debattieren war in dem Fall dass ein Redner am Rednerpult stand, und seine (auf 2-3 Minuten gekürzte) Rede hielt und Zwischenfragen der anderen Fraktionen kamen, oder die bekannten Zwischenrufe. Abgesehen von der kurzen Redezeit war dies vier hitzige Debatten. In 3 Fällen hat sich die Regierung durchgesetzt, in dem 4. Fall hätten wir eine 2/3 Mehrheit gebraucht, die wir nicht bekommen haben, aber auch dies war eigentlich vorgesehen, denn wir wollten den Antrag auch nicht, konnten uns öffentlich aber auch nicht gegen mehr direkter Demokratie stellen. Jedenfalls wollten wir dies nicht.

Wolfgang Thierse hat zwischenzeitlich sehr rigoros zum Protokoll dirigiert. Wir waren im Zeitverzug und Herr Thierse hat dann keine Zwischenfragen mehr erlaubt, damit wir fertig werden. Auch hat er sehr strickt darauf bestanden, dass jeder nach seiner Redezeit auch zum Ende kam. Ein Abgeordneter der LRP (Liberale ReformPartei) durfte nicht einmal den letzten Satz beenden.

Um kurz nach 12 (wir waren fast pünktlich) gab es dann ein Snack und im Anschluss eine sehr beeindruckende Gesprächsrunde mit den Fraktionsvorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien (CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke). So kamen Herr Gysi, Frau Künast, Frau Homburger, Herr Steinmeier und für die CDU „nur“ der Stellvertreter Herr Kretschmar.

Herr Deppendorf (ARD Hauptstadtstudio) hat (versucht) zu moderieren. Leider kann er es einfach nicht, sondern hat selbst Fragen gestellt, die aber sich aber allersamt nur schmeichelnd um das Fraktionszusammenleben drehten. Schließlich kam der Einwurf, dass es für uns eine Fragerunde sein sollte und damit kam mehr Bewegung in die Sache. Schließlich ist ein Hinweis auf das (am Vortag beschlossene) Elterngeld gefallen, worauf Künast und Gysi nahezu ausgerastet sind und auf Frau Homburger und Herrn Kretschmar eingedroschen haben, dass hab ich noch nicht erlebt. Das war eine „noch nicht dagewesene Frechheit“. „Unglaublich“. Der Politikeralltag.

Es ging auch hier nicht um Problemlösungen, sondern um strategische Deformierung des „politischen Gegners“.

So war also nicht nur unsere 4 Tage nahezu reine Strategie, sondern auch im richtigen Politiker-Alltag läuft dies genau so. Das war erschreckend.

An tatsächlichen Lösungen haben wir NUR in den Arbeitsgruppen (2 Stunden) gearbeitet. Dann gab es hier und da noch kleine Ausbesserungen, aber nur noch sehr sehr wenig inhaltliche Arbeit.

Ich hatte den Abgeordneten „Ijon Tichy“ hinter mir gelassen und war wieder ich selbst. Gero.

Und ich war beeindruckt, all diese Erfahrungen gemacht zu haben, aber auch traurig, dass so wenig konstruktiv gearbeitet wird. Im Parlament, da wo unser aller Probleme gelöst werden sollen.

Kommentare

von: Ionette Tychy

welcome to the horrors of politics & economics….

wenn man gerne redet, kann man politik machen. wenn man aber gerne auch an dem besprochenem arbeitet, kann man sich engagieren - in der sogenannten apo (alles was nicht durch parteienfinanzierung verhunzt wird). da macht man wenigstens auch was außer machtfragen anderer menschen zu lösen….

gruß ans ende der welt,

fräulein gelb-grün hinter den ohren

von: 9er0

Ja, da magst du Recht haben - nur muss man leider auch im Parlament sitzen UND da auch noch eine Mehrheit haben um Gesetze zu machen. Das wiederum können APOs nicht. Leider.

Da kann man allenfalls wieder zum Verfassungsgericht ziehen und all das, was eben nicht Verfassungskonform ist, verbieten lassen. Damit kann man das ein oder andere Übel abwenden, aber man kann es auch nicht zum positiven wenden. Das kann man nur, wenn man sich auch auf das Machtgeschacherre einlässt.

Gruß zurück an die “Ionette” :)

von: Luise

Hallo Gero,

dein Bericht klingt sehr interessant. Hier noch einen Tipp, den ich damals von Rena erhalten habe und mir eindringlich im Gedächtnis geblieben ist:

Düstere Aussichten Vor der Afghanistan-Abstimmung verrät der SPD-Mann Marco Bülow, was Bundestagsmitglieder wirklich zu sagen haben: fast nichts.

http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/3658