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Von Smartphones, Nerds und Filterbubbles

- in: society tech science

Ich war 3 Wochen offline in einer Kleinstadt in Frankreich und habe mich so gut gefühlt, wie seit Monaten nicht mehr. Ich bin 2 Tage zurück in Berlin und fühle mich schlecht. Und ich glaube, es hat mit Umgangsformen zu tun, über die ich schon seit Monaten nachdenke, aber mir die Intensität erst jetzt bewusst wird. Der Text ist ad-hoc entstanden und möglicherweise habe ich viele Dinge dabei vergessen.

Vielleicht sind es Nachwirkungen von Heideggers Ausflug in die Technikphilosophie (Vorsicht Webseite ist wenig schön, habe “die Frage nach der Technik” und “die Kehre” aber nicht in schöner gefunden), mit der ich mich vor 2 Jahren länger beschäftigt habe. Vielleicht ist es auch die gebetsmühlenartige Technikangst, die gerade von älteren Menschen immer wieder angesprochen wird. Vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein. Trotzdem will ich ein paar systematische Gedanken aufschreiben:

  1. Das Smartphone ist eine wunderbare Erfindung. Die Arbeitserleichterung lässt sich kaum in Wörter packen. Egal, ob ich beim Trampen eine Karte brauche, das günstigste Hostel in Laufnähe suche oder zwischendurch wichtige Mails beantworten kann. Es ist verdammt praktisch und möchte es nicht missen - und doch ist es ein riesiges Problem. Es macht uns unfrei. Wenn es piept, gehen wir ran. Die allermeisten Menschen tun dies immer. Wenn sich zwei Menschen miteinander sprechen, und das Handy piept oder blinkt, wird die Konversation unterbrochen für etwas, das warten kann. Immer. Wir aber (und ich nehme mich da nicht aus) gucken doch mal kurz, was da eigentlich blinkt. Das wir in eben diesem Moment unsere Konzentration vollkommen auf das Smartphone gerichtet ist, statt auf den Menschen, mit dem wir eigentlich reden, wird uns häufig nicht mal bewusst. Es ist eine zu tiefst unsoziale Handlung, die wir tätigen. Und (und das ist der Knackpunkt), wir tun diese Handlung des Missachten der anderen Person nicht einmal als bewussten Akt, sondern wir lassen uns von dem Blinken(!) eines Gerätes dazu verleiten, so unsozial zu handeln. Kaum eine Person möchte bewusst so unsozial handeln, aber das Smartphone, sowie ein diffuses Gefühl von “das machen wir alle so und darum ist es richtig” verleiten uns dazu.

  2. Nerds sind sozial inkompetente Menschen. Nerds wollen sich lieber Technik zuwenden, als Menschen. Das ist die Definition des Nerd. Dazu kommt, das es inzwischen cool, oder “hip” ist, Nerd zu sein. Ein diffuses Gefühl besagt, es ist toll ein Nerd zu sein. Gewissermaßen sind die Nerds die Superhelden der Neuzeit. Nerds halte ich für unglaublich bemitleidenswerte Menschen - und zwar vor allem, weil sie bemitleidet werden wollen, weil sie ja so sozial inkompetent sind, dass sie keine (kaum) Freunde haben und sich deshalb lieber mit Technik beschäftigen. Und eigentlich wollen sie das gar nicht, sondern wollen nur in den Arm genommen werden und Freunde haben - was aber nicht geht, weil sie damit ihren Status verlieren würden und nicht mehr als bemitleidenswerte Wesen gesehen werden würden. Und eben dies finde ich wirklich bemitleidenswert. Sie haben ihre Freiheit für einen Status aufgegeben, der vor allem daraus besteht unsozial zu sein. [update] Wer dies nicht sieht, möge doch bitte auf die Nerds in der eigenen Timeline achten. [/update]

  3. Die Filterbubble entstand mit der fortschreitenden Technik, die es erlaubt, sich seine eigene Welt zu konstruieren. Ich muss nicht mehr mit meinen Nachbarn unterhalten, ich kann jetzt auch telefonieren und chaten. Gewissermaßen ist das ein Zugewinn an Freiheit, weil es mehr Möglichkeiten gibt. Auf der anderen Seite ist es ein Verlust von Freiheit, weil die Filterbubble nur über Daten funktioniert, Menschen aber keine Daten sind. Mit standardisierten Zeichen lässt sich die Welt nicht 1:1 abbilden. Die Realität ist nicht nur ein Foto und auch kein Video - in beidem fehlen z.B. Gerüche. Die Welt lässt sich nicht vollständig maschinenlesbar darstellen und wiedergeben. Daraus folgt, dass die Filterbubble nur mit einer Komplexitätsreduktion funktioniert und zugleich die Fülle an Komplexität in der offline-Welt ausblendet, oder zumindest verschleiert. Es handelt sich dabei nur noch um pseudo soziale Aktionen. Es ist zwar nett, eine DM oder Mention mit “<3” zu schicken, aber eine Umarumung kann es doch nicht ersetzen. Da wir aber in unseren Filterbubbles gewissermaßen fest hängen (und unsere Nachbarn doch nicht kennenlernen), sorgt die Filterbubble für eine soziale Verarmung. Wir, die wir ins Internet gehen, um unsere Freunde zu treffen, merken kaum noch, dass es noch so viel mehr Möglichkeiten gibt, in Interaktion miteinander zu treten, als Chaten, Twittern oder auch mal zu Skypen. Unsere sozialen Interaktionen sind dadurch unglaublich begrenzt.

Ich nehme mich nicht aus und glaube auch nicht, dass ich da groß anders agiere als viele Freunde von mir, aber es stört mich zunehmend mehr. Und das ist auch der Grund, warum ich mich nicht mehr unbedingt mit anderen Nerds treffen will - und wenn, dann unglaublich alergisch darauf reagiere, wenn beim Spieleabend doch das Smartphone raus geholt wird. Es ist eine Beobachtung, die ich sehr bedenklich finde - und ich fürchte, dass diese Beobachtung bald auf die gesamte Gesellschaft zutreffen könnte. Diese “digitale Welt” halte ich für wenig lebenswert und hoffe, dass “uns” noch ein paar gute Ideen einfallen, wie wir diese Welt deutlich lebenswerter machen können.

Kommentare

von: Sven

Zu Punkt 2: Wenn Nerd als Modeströmung wie Emo, Goth, Punk, Raver, usw verstanden wird, wobei man sich für das eine oder das andere entscheidet, mag das zutreffen. Die meisten Leute die ich kenne, auf die die Bezeichnung Nerd zutreffen würde, interessieren sich für Dinge, ob technisch oder nicht, ohne sich für das Thema “sozial (in)kompetent” zu interessieren. Da diese Leute sich nicht definieren oder abgrenzen wollen fehlt da wohl der Bedarf so etwas herauszustellen. Selbstmitleid scheint mir dort recht fremd zu sein.

von: Gero

Ich gehe davon aus, dass die Unterscheidung von “Nerd als Modeströmung” und “Nerd als Technikfreak” nicht zu trennen ist. Klar gibt es darin unterschiedliche Ausrichtungen und Stimmungen, wie auch die Nerds eine heterogene Gruppe sind. Und es geht auch nicht darum, ob sich Menschen für soziale Inkompetenz interessieren (nein, das tun sie wohl wirklich nicht), sondern darum, wie sie mit der Gesellschaft umgehen. Menschen, die sich so krass viel mit Technik beschäftigen neigen dazu, auch den Menschen nur als sehr komplexe Technik anzusehen. Das sorgt für die soziale Inkompetenz. Das Selbstmitleid entsteht, wenn sie sich dessen bewusst werden (was doch immer mal wieder passiert) und eigentlich aus der Rolle des Nerd heraus wollen, es aber nicht können, weil ihr gesamtes Denken darauf ausgelegt ist. Und das ist, so behaupte ich, auch einer der Gründe für die sehr hohe Depressionsrate der Nerds.

von: Isarmatrose

Dein letzter Absatz beinhaltet, dass du von dir als “unsoziales” Verhalten mit von der Gesellschaft als “unsozial” definierten Verhalten beantworten möchtest? Du hast mit deinen Beobachtungen ja Recht, aber deine Schlussfolgerung greift zu kurz. Unsere Gesellschaft muss sicher lernen mit den neuen Kommunikationsmittel umzugehen, aber vor einer derartigen Herausforderung standen wir ja schon oft. Wird schon. ;-)

von: Julia Seeliger

Ein ♥ für Nerds!

von: map

Gero, ich lese in deinem Blogpost vor allem Intoleranz und (Selbst-?)hass. Das finde ich schade. Um nicht zu sagen bemitleidenswert. Deine Küchenpsychologie in den Kommentaren auch.

Unterm Strich bedeutet Nerd sowieso nichts mehr - dazu muss mensch nur mal auf der campusparty vorbeigucken - und ich höre zunehmend auf mich so zu nennen, ausser als Shortcut für “technikaffin”.

von: tante

Unzufriedenheit mit einer sich selbst abkapselnden Bubble von “Nerds” schön und gut und mir ist das dann doch zu pauschal.

Du baust hier eine Dualität Digital/Analog auf mit einer leichten Überhöhung des Analogen ohne dafür Gründe zu liefern, eine Stoßrichtung, die im Aufsatz “The IRL fetish” schön zerlegt wurde (http://thenewinquiry.com/essays/the-irl-fetish/).

Du hast ein Problem mit den sozialen Konventionen Deines Umfelds - und sowas nervt kollossal! - aber die Übertragung aufs Allgemeine ist leider nicht schlüssig.

von: Gero

Ich würde es nicht (selbst-)Hass nennen, aber klar bin ich unzufrieden, ja. Im Übrigen habe ich auch bewusst “Nerd” gewählt und nicht “Hacker”, um auch die Campus-Party-Leute mit einzubeziehen. In meiner Wahrnehmung begrenzt sich das nicht auf “unsere” Twitter-Filterbubble. Zumindest nehme ich das auch in vollkommen anderen Kontexten war.

Und um es hier auch nochmal klar zu machen: es geht mir nicht darum, irgendwen zu diskreditieren. Es geht mir ganz und gar nicht darum, den Nerds zu sagen, sie seien Doof. Das war so gar nicht die Intention des Blogposts.

von: Gero

Ich kann die Wahrnehmung nicht empirisch unterlegen - und will es auch nicht. Es geht hier um meine Wahrnehmung. Punkt. Mir geht es dabei auch nicht um “Digital/Analog” oder “Online/Offline”, sondern um die Art und Weise, wie “wir” miteinander umgehen. Und den Umgang kritisiere ich. Und ich glaube, dass es eben nicht nur mir so geht, sondern einigen anderen auch, weshalb ich meine Gedanken nicht für mich behalten habe, sondern verbloggt habe.

von: @vieuxrenard

Küchenpsychologie hin oder her, aber bei den sozialen Umgangsformen hat Gero schon Recht: eine RL-Konversation wg. irgendeiner Mention zu unterbrechen geht mal gar nicht - und muss auch nicht sein. Ich hab’s mir jedenfalls wieder abgewöhnt und lebe sehr gut damit. Alles auf Twitter & Co. kann warten - vielleicht mit Ausnahme des einen oder anderen DM-Fail ;-)

Insofern würde ich an den @isarmatrosen anknüpfen: Es wird schon, sicher, aber nicht von alleine. Jeder muss für sich die Balance zwischen Virtuellem und RL finden. Gute Freunde können dabei helfen, gerade wenn sie selbst “Nerds” sind, indem man einfach ausmacht: Wenn wir reden, bleibt das Handy in der Tasche. Das geht, echt!

Das Zurechtfinden im RL ist zwar 1000fach schwieriger als zB auf Twitter, aber eigentlich geht’s nur darum. Ich bin mir sicher, dass das letztlich auch fast alle Nerds so fühlen. Ob sie’s (sich / anderen) eingestehen, ist natürlich eine ganz andere Frage.